Zunehmend setzt sich in der Medizin wieder die gar nicht neue Erkenntnis durch, dass Körper und Seele eng miteinander verbunden sind und dass seelische Not zu körperlichen Krankheitssymptomen führen kann. Dies betrifft auch unsere Augen, wo Ängste und Stress Schäden hervorrufen können.
In der naturwissenschaftlich dominierten Medizin wird das Sehen häufig rein mechanisch dargestellt: Das Auge beschreibt man wie einen fotografischen Apparat mit Linse und Zoom sowie einem lichtempfindlichen Chip – der Netzhaut. Von der Netzhaut geht ein Elektrokabel an die zentrale Datenverarbeitung – das Gehirn. Hier werden die einzelnen Bildinformationen wie im Computer zusammengefügt, und wir sehen ein Bild. Haben wir eine Störung im Sehen, muss man nur an der entsprechenden Stelle eine kleine Reparatur mit dem Skalpell oder dem Laser durchführen bzw. man gibt das richtige Medikament – und schon läuft der Prozess wieder wie gehabt. Diese rein mechanische Vorstellung vom Sehprozess stellt die Vorgänge allerdings sehr vereinfacht dar.
Schon in alten Schriften wird das Auge immer wieder als Spiegel der Seele bezeichnet. Auch in Sprichwörtern sind emotionale Zustände oft mit dem Sehprozess verbunden: Man ist blind vor Wut, sieht rot, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, ist vor Liebe blind und vieles mehr.
Tatsächlich ist das Sehen über weite Strecken auch ein seelisch-geistiger Prozess. Viele emotionale Regungen beeinflussen direkt oder indirekt wie wir sehen. Andauernde, krankhafte emotionale Zustände können in letzter Konsequenz zu organischen Veränderungen am Auge führen. Dann erst werden sie von der konventionellen Medizin als Erkrankung bezeichnet und die gilt es dann mit den oben beschriebenen Mitteln zu reparieren. Das klappt leider oft nicht in dem gewünschten Ausmaß. Dann spricht man von chronischen, fortschreitenden Erkrankungen oder einem unvorhergesehenen Krankheitsverlauf.
Hinzu kommt aktuell noch etwas anderes: Das Sehen wurde in den letzten 25 Jahren einem ungeheuren Wandel unterworfen. Technologie, Verkehr, Computer, Fernsehen – immer mehr wichtige Informationen erhalten wir über unsere Augen. Für diese stets anstrengende, kaum einen Fehler tolerierende Art des Sehens ist unsere Psyche jedoch ursprünglich nicht vorgesehen.
Nicht alles, was unsere Augen sehen, wird uns bewusst
Unser Gehirn hat die bedeutende Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und letzteres in der Wahrnehmung zu verdrängen. Über unsere Augen nehmen wir nur das wahr, was unser inneres Filtersystem durchlässt, d. h. obwohl wir vieles mit dem Auge sehen, gelangt nicht alles in unser Bewusstsein. Im Gegensatz zu einer Kamera sehen wir also subjektiv! So lässt sich der Vorgang der Verdrängung erklären, bei dem eine Wahrnehmung aus dem Bewusstsein ausgeklammert wird, jedoch im Unbewussten wirksam bleibt.
Solche unbewussten Spannungen haben die Fähigkeit und das Verlangen sich zu lösen. Körperliche Beschwerden sind die Folge davon. „Wo das Abwenden des Blicks oder das Schließen der Augen nicht mehr ausreicht, um störende Wahrnehmungen der Außenwelt abzuwehren, tritt bei entsprechender Körperverfassung eine Erkrankung hinzu,“ schrieb Georg Groddeck (1866-1934), deutscher Arzt und Wegbereiter der Psychosomatik. Das können relativ harmlose akute und chronische Entzündungen im Bereich der Lider sein, kann sich aber im schlimmsten Fall bis hin zu einer Erblindung entwickeln. Klassische Vertreter dieser sogenannten psychosomatischen Erkrankungen sind z.B. die altersbedingte Makuladegeneration, der grüne Star, die Kurzsichtigkeit, Entzündungen in der Netzhautmitte oder kaum heilende Entzündungen der Lider. Daraus entsteht die Frage: „Was darf, kann oder will ich nicht sehen?“
Das private und gesellschaftliche Leben ist oft mit vielfältigen Ängsten verbunden: Existenzangst, Angst vor Strafe im weitesten Sinne, Versagensängste, Ängste durch überholte familiäre Rollenfunktionen bei Frauen und Männern. Ängste gehören zu den wichtigsten krankmachenden Emotionen. Andere emotionale Stressfaktoren können z.B. Überlastung in Familie und Beruf, Aufopferung für Freunde und Angehörige sowie die Trennung von den Kindern oder dem Partner sein.
Angst löst Krankheiten aus und wirkt krankheitserhaltend
Normalerweise ist Angst eine lebensnotwendige „Alles-oder-Nichts-Reaktion“: weglaufen oder angreifen. Bei lebensbedrohenden Umwelteinflüssen ermöglicht sie dem Körper, schnell zu reagieren. Dabei kommt es zu einer hohen Konzentration der dazu benötigten körpereigenen Stoffe, z. B. Kortison und Adrenalin. Diese wiederum führen zu einem erhöhten oxidativen Stress. In einer Gefahrensituation ist das notwendig und schädigt den Körper nicht weiter. Kommt es aber zu einer anhaltenden Angststörung, kreisen diese Stoffe ständig durch unsere Blutbahn, auch wenn keine körperliche Aktivität zur Flucht- oder Angriffsreaktion vorliegt. Diese dauerhaft erhöhten Stressfaktoren führen zur körperlichen Erkrankung – am Auge unter anderem zur Makuladegeneration und einem erhöhten Augeninnendruck (Grüner Star).
Chronische Ängste führen auch zu unterschiedlichen Wahrnehmungsstörungen. Diese können sich unter anderem durch Flimmern, Lichterscheinungen, Gesichtsfeldausfälle, veränderte Farbwahrnehmung, verminderndes Kontrastsehen und dunkleres Sehen äußern. Bei all diesen Störungen findet man in der augenärztlichen Praxis gerätetechnisch keine organische Ursache. Der Hilfe suchende Patient wird dann im schlimmsten Fall als Simulant abgetan.
Andersherum jedoch bedingen schwere organische Erkrankungen wiederum Ängste. Schwere Augenerkrankungen wie die Makuladegeneration oder der Grüne Star bereiten den Patienten ständige Sorgen. Sie sind geprägt durch Angst vor der Zukunft, Angst vor der Blindheit, Angst vor Verlust der Selbstständigkeit, um nur die Wichtigsten zu nennen. All diese Faktoren wirken dann krankheitserhaltend und beschleunigen sogar den Verlauf.
Probleme am Ausbildungsplatz verursachen Sehstörungen
Ich kann mich noch gut an einen jungen Mann erinnern, der schon mehrere Augenärzte wegen verschwommenen Sehens und „Lichterscheinungen“ aufgesucht hatte, die aber nichts finden konnten. Er war verzweifelt und wurde zudem mit dem Vorwurf der Simulation konfrontiert. Nach einem ausführlichen Gespräch kam zum Vorschein, dass er Probleme am Ausbildungsplatz hatte. Beherrschend war die Angst, seinen Abschluss nicht zu schaffen. Die Versagensangst wurde noch verstärkt durch die Angst, „etwas“ im Kopf zu haben, das sein Sehen stört, und das keiner findet. Bei ihm lag eine deutliche, sich selbst verstärkende Angststörung vor. Eine Psychotherapie wurde veranlasst. Nach einigen Sitzungen, bei dem ihm auch ausführlich der sogenannte Angstkreislauf erklärt wurde, nahmen die Sehstörungen deutlich ab. Nur noch in Stresssituationen kehren die Symptome zurück. Da er jedoch die Ursache kennt, kann er gut damit umgehen. Die Ausbildung hat er erfolgreich abgeschlossen.
Zur Therapie von psychischen Störungen stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Eine der wichtigsten Methoden ist die Psychotherapie. Da diese Störungen und die daraus folgenden Erkrankungen häufig ein Problem von Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter sind, sollten diese darauf achten, einen Psychotherapeuten zu finden, der Erfahrungen in der Therapie älterer Menschen hat. Bei ihnen bestehen oft andere Sichtweisen auf das Leben und seine Probleme. Dieser Lebensabschnitt wird von Sinnfindungsprozessen geprägt. Dabei hilft ein wohlwollender Rückblick auf das eigene Leben.
Akupunktur und Heilpflanzen helfen Seele und Augen
Andere wichtige Behandlungsoptionen sind Affirmationen (bestärkende Sätze). Durch diese individuell festzulegenden Sprüche hilft man dem Unterbewusstsein, ein bestimmtes Problem zu lösen. Eine gute Alternative, psychische Probleme effektiv zu behandeln, stellt die Akupunktur dar. Durch die Auswahl bestimmter Punkte am Ohr oder am Körper kann man bei der Behandlung von seelischen Belastungen mit dieser Methode sehr viel bewirken. Ein erfahrener Akupunkteur sollte die erforderlichen Punktkombinationen finden. Regelmäßig finden verschiedene Punkte der Ohrakupunktur Anwendung z.B.: Vegetativum 1 + 2, Antiagressionspunkt, Antidepressionpunkt, Frustrationspunkt, Punkt der Angst und Sorge, Omega-Punkte, Herz- und Nierenpunkt. Am Körper sind He 7, KS 6, KG 6 und 15, LG 20, Ma 36, Ni 3 und Ni 6 wichtige Punkte. Allerdings sind „Kochbuchrezepte“ in der Akupunktur nur bedingt wirksam. Besser sind individuelle Punktkombinationen.
Nicht zu unterschätzen, sind die Therapiemöglichkeiten mit heimischen Heilpflanzen. Viele Pflanzen wirken auch auf die Psyche. Wichtige Pflanzen zur Therapie bei Augenerkrankungen mit psychischer Komponente sind Birke, Efeu, Gundelrebe, Melisse und natürlich das Johanniskraut. Als Darreichungsform kommen Tees, Frischpresssäfte sowie durch dynamische Prozesse und lange Reifung entstehende hochwirksame Tinkturen.
Diese Pflanzenmittel kombiniere ich gern mit homöopathischen Präparaten, bevorzugt Komplexpräparate, da die psychischen Störungen häufig vielschichtig sind. Mit einem individuellen Therapiemix ist es möglich, den Betroffenen zu helfen. Sinnvoll sind hier eins, höchstens drei der folgenden Mittel: Sumbulus N Oligoplex®, Lobelia Oligoplex®, Hypericum Oligoplex® und Carbonicum Oligoplex®. Hilfreich wirken auch Calcium Phosphoricum Similiaplex®, Neurapas® balance und Pasconal® Nerventropfen sowie Neurexan®. Mischinjektionen von Infi-China-Injektion N, Infi-Damiana-Injektion N und Infidys®-Injektion wende ich ebenfalls gerne zur Therapieunterstützung an. Je nach Erfahrung des Therapeuten sind natürlich auch andere Mittel möglich. Sie sollten sorgfältig ausgewählt werden und eignen sich nur bedingt zur Eigentherapie.
Die gesamte Behandlung sollte möglichst unter der Führung eines erfahrenen Therapeuten stehen. Entweder der Augenarzt ist selber psychotherapeutisch tätig und kennt sich mit Naturheilverfahren aus. Es gibt auch Praxen, in denen ein Augenarzt und ein Arzt für Psychotherapie zusammenarbeiten. Die Regel wird jedoch sein, dass man bei Verdacht oder
bekannten Problemen den Augenarzt aktiv ansprechen muss, denn selten geht der erste Schritt vom Therapeuten aus.
Oft fehlt der Mut zur Psychotherapie
Ältere Menschen trauen sich oft nicht, psychologische Hilfe zu beanspruchen und üben sich lieber im stillen Erdulden. Hier sollten Angehörige und Freunde den Mut und das Feingefühl aufbringen, diese sicherlich nicht einfache Situation anzusprechen. Leider ist die Haltung „Ich bin doch nicht verrückt!“ noch sehr verbreitet.
Ich möchte jedem Betroffenen Mut machen, sich bei psychosomatischen Augenkrankheiten helfen zu lassen. Und fühlt man sich von einem Augenarzt nicht ernst genommen, hat jeder das Recht auf eine weitere Meinung.
Autor:
Dr. med. René Woytinas, Jahrgang 1965, Facharzt für Augenheilkunde mit Zusatzbezeichnung Akupunktur, seit 1997 in eigener Praxis. Leiter des Kompetenzzentrums für biologische Augenheilkunde am Lindenhof Salem in Stadtsteinach. Schrieb im Naturarzt zuletzt über Augenmuskelstimulation (5/2010).
Entnommen aus dem „Naturarzt“ April 2011
Weiterführende Literatur
W. Schultz-Zehden: Das Auge – Spiegel der Seele, dtv, München 1995
I. Strempel: Keine Angst vor Grünem Star: Ein Buch für Patienten. Mit Entspannungs-CD, KVC, Essen 2009
I. Strempel: Das andere Augenbuch: Seele und Sehen – ein Leitfaden für Betroffene, KVC, Essen 2006
Gefühle spiegeln sich nicht nur in den Augen wider, sie beeinflussen auch den Sehprozess.
Verständnis fördern
Außenstehende können sich meist kaum in die Lage eines hochgradig sehschwachen Patienten hineinversetzen. Das führt unter anderem zu Missverständnissen mit Familienangehörigen. Mit einfachen Mitteln kann man ihnen klar machen, wie sich die Erkrankung auswirkt:
► Um z. B. eine Makuladegeneration zu demonstrieren, verklebt man eine Brille in der Mitte der Gläser mit einem eurogroßen Stück Pappe und bittet dann die Betreffenden, sich damit zu orientieren.
► Ähnlich kann man bei fortgeschrittenem Grünen Star verfahren: Man klebt die Brille komplett ab und lässt nur in der Mitte ein 10-Cent-großes Loch frei.
Solche einfachen Maßnahmen helfen häufig, das Verständnis untereinander zu verbessern.