NHV Weserbergland: Artgerechte Haltung im Büro

Sitzen ist das neue Rauchen – das Umdenken im Büro hat begonnen

 

Wir bemühen uns darum, unsere Nutztiere, Haustiere und die Wildtiere in Zoos artgerecht zu halten. Aber ist unsere eigene, die menschliche, Lebensweise noch artgerecht? Darüber machen wir uns weniger Gedanken. Dabei arbeiten rund 60 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland im Büro, Tendenz steigend. Jobs mit vorwiegend sitzender Tätigkeit sind also kein Randthema.

Referent Jürgen Jordan gab in seinem Vortrag für den Naturheilverein Weserbergland Anregungen zum Umdenken in Unternehmen für eine menschengerechte Büroarbeit. Jordan, Quality Office Consultant bei WINI Büromöbel in Coppenbrügge, ist Berater für Themen wie Neue Arbeitswelten, Ergonomie und Akustik.

Er zeigte auf, wie wir uns mit der Zeit natürliche Verhaltensweisen abgewöhnt haben. Wer zum Beispiel im Büro arbeitet, mit dem Auto zur Arbeit und zum Einkauf fährt, nach Feierabend öfter liest oder fernsieht, der verbringt bis zu 15 Stunden pro Tag im Sitzen, also etwa 85 Prozent seiner aktiven Lebenszeit. Rund 80 Prozent der Menschen leiden im Lauf ihres Lebens mindestens einmal an akuten Rückenschmerzen. Bei bis zu 35 Prozent von ihnen werden daraus langfristige Beschwerden. Denn unser Körper ist für das Laufen und Stehen gedacht, längeres Sitzen war nie vorgesehen.

Dagegen hilft nur eines: Bewegung, und zwar etwa 10.000 Schritte am Tag. Aber wie, wenn man seine Brötchen mit einem Bürojob verdient? Jordan erklärte einfache Möglichkeiten, um Bewegung wieder öfter in den Alltag einzubauen. Schon Stehen belastet die Bandscheiben weniger als Sitzen. Wer per Knopfdruck seinen Tisch auf optimale Stehhöhe hochfahren kann, der wechselt automatisch öfter zwischen Stehen und Sitzen. In vielen Unternehmen sind deshalb Steh-Sitz-Arbeitsplätze bereits Standard. Eine sinnvolle Investition angesichts der Fehlzeiten und Folgekosten, die das Sitzen verursacht. Nicht ohne Grund übernehmen Kassen bei Bedarf die Kosten dafür.

Das Problem ist selbstgemacht: Büros plante man früher bewusst so, dass Arbeitszeit nicht durch lange Wege vergeudet wurde. Die Folgekosten durch Fehlzeiten ahnte man damals nicht. Statt am Arbeitsplatz alles wie im Cockpit um sich herum anzuordnen, empfiehlt Jordan eine andere Büroplanung. Der Gang zu Unterlagen oder zum Drucker kann uns mehrmals am Tag vom Schreibtisch weg führen, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Seine Tipps: Ordner oder Hängeregister für mehrere Kollegen gemeinsam unterbringen. Am besten in Sideboards, die gleichzeitig ein Stehplatz für kurzes Nachschlagen oder eine Kurzbesprechung sind. Wenn Fachlektüre zentral in einer Bürobibliothek liegt, liest man dort konzentrierter ohne die üblichen Störungen am Arbeitsplatz. Zudem spart man Stauraum und Anschaffungskosten. Müssen Mitarbeiter öfter zum Drucker in eine durchdacht gestaltetete Technikzone gehen, werden sie fitter und konzentrierter. Wenige hochwertige Geräte belasten sowohl die Mitarbeiter als auch die Umwelt nicht so stark wie viele billige Geräte (durch Störgeräusche, Elektro-Smog und Emmissionen). Zudem findet eher ein spontaner Ideenautausch statt, weil sich Mitarbeiter auch unterschiedlicher Arbeitsbereiche öfter begegnen.

Künftig werden auch Smartphone und Tablet unsere Gesundheit stark beeinflussen: Vermehrte Kurzsichtigkeit und „Handy-Nacken“ sind Krankheiten der Zukunft. Das betrifft nicht nur die heranwachsende Generation, sondern jeden, der jetzt noch arbeitet. Schon etwa 2020 wird rund ein Drittel der Arbeitnehmer über 60 Jahre alt sein, meinte Jordan und erläuterte die besonderen Anforderungen an altersgerechte Büros.

Er nannte eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Gesunderhaltung: von der vertikalen Computer-Maus und ergonomischen Tastatur bis zum gezielten Faszientraining. Sicher werden die Besucher seines Vortrags künftig ihr Auto bewusst etwas entfernter vom Ziel parken und weitere Wege gehen. Denn sie wissen jetzt, warum selbst ihr Freizeitsport nicht denselben positiven Effekt auf die Gesundheit haben kann wie 10.000 Schritte am Tag.

Foto:  Referent Jürgen Jordan

Text: Kay Jordan, 2. Vors. NHV Weserbergland e.V.