Kaum Nebenwirkungen, keine Suchtgefahr: Wie sich Angst naturheilkundlich behandeln lässt

von Prof. Dr. med. Karin Kraft, Foto: creativ collection

Angst und Spannungszustände werden sehr oft mit chemisch definierten Anxiolytika und Sedativa (etwa Benzodiazepine) behandelt. Diese Medikamente haben jedoch starke Nebenwirkungen und können abhängig oder süchtig machen. Daher werden sie von den Betroffenen oft abgelehnt. Die Naturheilkunde kennt gerade bei leichteren Fällen eine Reihe von Alternativen, die selbst angewendet und bei Bedarf auch kombiniert werden können. Bei schweren Angstzuständen sollten sich Betroffene allerdings unbedingt therapeutische Hilfe holen.

Entspannungsverfahren 

Das Autogene Training eignet sich zur symptomatischen Mitbehandlung von nervösen Erregungs- und Angstzuständen. Auch die sehr leicht zu erlernende Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson ist dafür geeignet.

Hydrotherapie und Bewegung

Tägliche kalte Ganzwaschungen sowie Arm- und Beingüsse wirken vegetativ stabilisierend. Studien haben gezeigt, dass ein leichteres körperliches Training bei Angst und Ängstlichkeit fast so wirksam ist wie Medikamente. Die beste Form der Bewegungstherapie sind Spaziergänge in Begleitung. Klimawechsel wirken unterstützend.

Phytotherapie

Arzneimittel mit Baldrianwurzel-, Hopfenzapfen-, Melissenblätter- oder Passionsblumenkrautextrakt kennt man schon lange als milde und sehr gut verträgliche Schlafmittel. Neuerdings weiß man, dass diese Extrakte auch eine angstlösende und spannungsmildernde Wirkung haben. Jeder dieser Extrakte hat sein eigenes Wirkprofil, in Kombination sind sie nachgewiesenermaßen besser wirksam. Zur Behandlung von Angst sollten deshalb bevorzugt Kombinationspräparate verwendet werden.

Die Tagesdosis beträgt in Kombinationspräparaten für Baldrianwurzel bis 1500 mg, für Hopfen bis 130 mg, für Passionsblume bis 1000 mg und für Melissenblätter bis 270 mg Trockenextrakt. Passionsblumenkraut kann, da es deutlich angstlösend wirkt, bei Angststörungen auch allein verwendet werden (täglich 1200 mg Trockenextrakt).

Zudem ist ein Präparat mit patentiertem aufkonzentriertem Lavendelöl (80 mg/Tag) erhältlich. In zwei randomisierten Doppelblindstudien bei Patienten mit subsyndromaler Angst bzw. Unruhe und Schlafstörungen war es bereits nach zwei Wochen dem Placebo statistisch signifikant überlegen. In einer anderen Studie entsprachen seine angstlösende Wirkung und die Verbesserung der Lebensqualität nach sechs Wochen derjenigen von 0,5 mg/d Lorazepam, also einem Benzodiazepin. Als subsyndromal bezeichnet man in der Fachsprache eine Störung, die nicht ausgeprägt genug für die klinische Diagnose Angststörung ist.

Bei Angstzuständen während der Wechseljahre eignet sich ein Extrakt aus dem Wurzelstock der Trauben-Silberkerze (Cimicifuga). Hier ist auch eine Kombination mit Johanniskrautextrakt sinnvoll.

Phytotherapie eignet sich zu Therapie von leichten bis mittelschweren Angstzuständen vor allem, wenn eine mittel- bis langfristige Behandlung erforderlich ist. Bei Nahrungsergänzungsmitteln mit pflanzlichen Inhaltsstoffen, die für die Behandlung von Angst- und Unruhezuständen vermarktet werden, ist die Wirksamkeit übrigens in der Regel nicht belegt.

Pflanzliche Arzneimittel verbessern auch Folgezustände der Angst

Auch die Folgezustände der Angst können mit Phytotherapie gebessert werden. Dazu gehören etwa Niedergeschlagenheit und Resignation, Merk- und Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit oder aggressive Tendenzen. Bis zum vollständigen Wirkungseintritt vergeht mindestens eine Woche.

Kaum Nebenwirkungen       

Spezifische Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Interaktionen sind für Baldrianwurzel, Hopfenzapfen, Melissenblätter und Passionsblumen nicht beschrieben. Baldrianwurzel und Passionsblumenextrakt sollten wegen einer möglichen unkontrollierten Verstärkung der Wirkung nicht miteinander kombiniert werden. In Studien verursachte Lavendelöl bei 7,5 Prozent der Patienten Aufstoßen sowie in 5 Prozent der Fälle Oberbauchbeschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Völlegefühl oder Sodbrennen.

Die genannten Phytotherapeutika sind für die Selbstmedikation freigegeben, sie sind deshalb nicht erstattungsfähig. Von manchen gesetzlichen Krankenversicherungen werden sie aber erstattet, wenn sie auf einem „Grünen Rezept“ verordnet werden.

Prof. Dr. med. Karin Kraft ist Inhaberin des Lehrstuhls für Naturheilkunde an der Universitätsmedizin Rostock und 2. Vizepräsidentin des DNB.