Die heilende Kraft des Waldes

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VON: Prof. Dr. med. Karin Kraft

Fotos: creativ collection

Stadtleben stresst und kann Krankheiten mitverursachen. Mittlerweile ist aber wissenschaftlich nachgewiesen: Eine Therapie im Wald hat starke positive Effekte auf die Gesundheit.

Millionen Jahre lang lebten die Menschen und ihre Vorfahren in einer natürlichen Umgebung. Vor etwa 200 Jahren änderte sich das langsam. Immer mehr Menschen wohnten jetzt in Städten, mehr oder weniger dicht gedrängt. Unsere Körperfunktionen haben aber den Umzug in die Stadt nicht mitgemacht. Sie sind noch an ein Leben in der Natur angepasst. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass die Kluft zwischen natürlicher und stark urbanisierter Umgebung erheblich zum Dauerstress der Menschen beiträgt. Seit drei Jahrzehnten kommt noch der sogenannte Technikstress hinzu – Computer und Handys beschleunigen das moderne Leben weiter. Vorreiter dieses Lebensstils sind besonders Megastädte wie Tokio und New York mit über zehn Millionen Einwohnern. Es wird sogar vermutet, dass die mangelnde Naturnähe Volkskrankheiten wie zum Beispiel Adipositas, Depression und Kurzsichtigkeit mitverursacht.

15 Minuten Spaziergang reichen aus

Dagegen weiß man heute ziemlich sicher: Der Aufenthalt im Wald senkt nicht nur Stress, sondern hat auch präventive und gesundheitsfördernde Effekte. Die Erkenntnis verdanken wir vor allem Wissenschaftlern aus Südkorea und Japan, also Ländern mit Megastädten und sehr hoher Bevölkerungsdichte. Sowohl der japanische als auch der koreanische Staat haben übrigens die Forschungen intensiv unterstützt. Der Kontakt mit den natürlichen Reizen des Waldes drosselt die Aktivität des sympathischen Nervensystems. Wir entspannen uns und fühlen uns wohl – auch aus wissenschaftlicher Sicht der wünschenswerte Normalzustand. Dabei reicht schon eine kurze Zeit im Wald aus, um günstige Wirkungen zu erzielen. Nach einem 15-minütigen Waldspaziergang fällt der Blutspiegel des Stresshormons um 16 Prozent, der Blutdruck sinkt um zwei und die Pulsfrequenz um vier Prozent. Eine dreiviertel Stunde Aufenthalt verbessert zudem die Stimmung und vermutlich auch die geistige Leistungsfähigkeit wie zum Beispiel das Kurzzeitgedächtnis. Auch ein geschwächtes Immunsystem kann sich erholen, weil Stressreize abnehmen. Die Wirkung dauert etwa sieben Tage an.

Hilft bei ADHS und Depressionen

Weshalb hat der Wald nun diese entspannenden Eigenschaften? Es ist verblüffend, aber allein das Betrachten von Waldbildern und –fotos verändert den Zustand unseres Gehirns. Hirnregionen, die mit Mitgefühl und Altruismus assoziiert werden, sind stärker durchblutet. Dagegen fließt jetzt weniger Blut durch die Mandelkerne des Hirns. Weniger Angstgefühle sind die Folge, wenn die Amygdala, wie die Mandelkerne auch genannt werden, nicht mehr stimuliert werden. Im Wald kann sich daher die Aufmerksamkeit sanft fokussieren. Wir lernen, wieder aufmerksam zu sein. Dabei helfen angenehme und nicht zu starke Reize wie Grün- und Brauntöne, der Wechsel zwischen Licht und Schatten in sanften Abstufungen, leise Geräusche wie zum Beispiel fließendes Wasser, Vogelgezwitscher und Blätterrauschen oder der Geruch von ätherischen Ölen. So erholt sich das Gehirn vom stressigen Stadtleben und die geistige Ermüdung nimmt ab. Sehr gut präventiv wirkt die Kombination von -Entspannungsverfahren mit den natürlichen Reizen von Wäldern. Auf diese Weise werden in Südkorea Feuerwehrleute nach psychisch belastenden Einsätzen auf Staatskosten für drei Tage im Wald behandelt, um eine posttraumatische Belastungsstörung zu verhindern. Von der Waldtherapie profitierten aber auch Kinder, die unter dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom litten oder Erwachsene mit Depressionen.

Europas erster Kur- und Heilwald

Der Gedanke ist naheliegend: Die Therapie sollte auch Patienten mit körperlichen Krankheiten nutzen – in sogenannten Kur- und Heilwäldern. In Mecklenburg-Vorpommern habe ich in Kooperation mit dem Bäderverband dafür europaweit erstmalig Kriterien entwickelt. Dabei werden die Schonfaktoren des Waldes, die ja ständig einwirken, mit aktivierenden Therapieverfahren verbunden.

Welche Krankheitsgruppen eignen sich nun besonders gut für eine Therapie im Kur- bzw. im Heilwald? Hier schauen wir uns einerseits an, welche Behinderungen eine Krankheit verursacht, andererseits untersuchen wir die gesundheitsfördernden Eigenschaften eines Waldgebietes. Bei den Schonfaktoren spielt vor allem der Großklimabereich wie zum Beispiel das Meeresklima eine entscheidende Rolle. Weitere Schonfaktoren speziell des Waldes sind Strahlungs- und Windschutz, vielfältige Licht- und Windverhältnisse, gemäßigte Temperaturen, eine relativ hohe Luftfeuchtigkeit und eine gute Luftqualität. Die jeweilige Geländestruktur hat einen wesentlichen Einfluss auf die Eignung für Patienten mit Krankheiten zum Beispiel des Bewegungsapparates oder des Kreislaufs. Wichtig sind hier sowohl Höhenunterschiede als auch das Vorhandensein von Landmarken wie Gewässer, auffällige Baumgruppen oder Aussichtspunkte. Auch die Vegetation trägt zu den gesundheitsfördernden Effekten bei, wenn zum Beispiel Nadelhölzer im Sommer ätherische Öle freisetzen.

Prävention von Folgekrankheiten

Ein weitläufiger Kurwald erlaubt eine körperlich intensivere Therapie und bietet sich daher für chronische Erkrankungen an, um einer Verschlechterung vorzubeugen. Einem anderen Zweck dient der geschützte Kleinraum eines Heilwaldes. Er kann für die Prävention von Folgekrankheiten bei einer chronischen Krankheit genutzt werden. Besonders geeignet für die Therapie im Heil- oder Kurwald sind Erkrankungen des Bewegungsapparates, des Respirationstraktes, der Haut sowie neurologische, psychische, onkologische und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. -Derzeit führe ich eine kontrollierte Studie durch, bei der Patienten mit chronisch obstruktiver Atemwegserkrankung untersucht werden. Die Patienten haben im Rahmen ihrer stationären Rehabilitation auch Anwendungen im Kur- und Heilwald von Heringsdorf auf der Insel Usedom. Die Ergebnisse werde ich demnächst auf dem Kongress Gesundheitspotenzial Wald (siehe Veranstaltungshinweis) vorstellen, sie werden mit Spannung erwartet.

Karin Kraft, Ärztin für Innere Medizin und -Naturheilverfahren, hat eine Stiftungsprofessur für Naturheilkunde. Sie lehrt und forscht an der Universität Rostock. Außerdem ist sie Vizepräsidentin des Deutschen Naturheilbundes.

Erster Internationaler Kongress Gesundheitspotenzial Wald

Vor kurzem in Heringsdorf mit Vorträgen und Referaten von internationalen Gesundheits- und Umweltexperten (u.a. Professor Iwao Uehara von der Universität Tokio), Politikern und Landschaftsarchitekten. Höhepunkt war die Begehung, Eröffnung und Zertifizierung des Heringsdorfer Waldes als erster Kur- und Heilwald in Europa.