Schwitzen, Wadenwickel, Fußbäder – diese Hausmittel gibt es schon seit Jahrhunderten. Warum sie heute noch ihre Berechtigung haben
Von Dr. med. Jürgen Freiherr von Rosen, Foto: creativ collection/SignElements
Wer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also zu der Zeit, als die naturheilkundlichen Laienbewegungen entstanden, krank wurde, war gut beraten, Geld zu haben: Damals gab es noch keine Krankenkassen. Ärzte und alle Medikamente mussten privat bezahlt werden. Apotheken waren rar, Arzneimittel rein pflanzlich. Bewährte Heilmittel waren das Abführen (etwa mit Karlsbader Salz), Opiumtinkturen gegen Durchfälle oder der Aderlass zur Blutverdünnung und Blutreinigung. Mit den Erkenntnissen von Vinzenz Prießnitz und Sebastian Kneipp kamen die Wassertherapien und Balneo-Anwendungen dazu – das Schwitzen und Umschläge als Behandlungsform kannte man schon bei den alten Römern. Bald etablierten sich die Methoden mit Wickeln oder Auflagen zur Medizin der armen Leute, die sich keine Ärzte leisten konnten und sich selbst behandeln mussten.
Heute spielen alle diese Verfahren ein Stiefmütterchen-Dasein, während die technisierte westliche Therapie einen Siegeszug um die ganze Welt angetreten hat und überall hoch angesehen ist. Selbst in China, Japan, Indien und in den Ländern südlich der Sahara, die auf eine lange Geschichte oft sehr wirksamer traditioneller Medizin zurückblicken, benutzen die Menschen heutzutage in großem Maße moderne Medikamente. Das neue Medizinbewusstsein, das sich um 1850 mit der Entdeckung der Lachgasnarkose anfing zu etablieren, hat alle alten Methoden weitgehend verdrängt.
Zwar ändern sich die Zeiten allmählich, Naturheilverfahren wie Homöopahie, Akupunktur und Ayurveda werden in den letzten Jahren häufiger nachgefragt, insbesondere bei chronischen Schmerzen. In unserem Medizinbetrieb spielen sie aber immer noch eine Nebenrolle. Die Menschen sehnen sich zwar nach Einfachheit. Aber sie wollen sie nicht praktizieren. Die alten Hausmittel, die unsere Großmütter noch kannten, sind in Vergessenheit geraten, sie gelten als mühsam und unpraktisch.
Das Gesetz der Säftereinigung
Dabei wenden traditionelle Methoden wie Schwitzen, Umschläge, Wadenwickel und Fußbäder ein altes, wichtiges -Naturgesetz an, dass in unserer modernen Zeit fast völlig in Vergessenheit geraten ist: Das Gesetz der „Säftereinigung“, das schon von den Ärzten des Altertums wie Hippokrates oder Galenos von Pergamon als außerordentlich wichtig zur Verbesserung und Erhaltung der Gesundheit angesehen wurde.
Bei dieser alten „Säftelehre“ unterschied man verschiedene Körperflüssigkeiten, die für die erhoffte Gesundheit in optimalem Zustand vorliegen mussten, etwa Galle, Blut und Schleim. In der Naturheilkunde wissen wir, dass nicht nur das Blut in seiner Zusammensetzung wichtig ist, sondern auch die Lymphe und die Gallenflüssigkeit. Diese beiden letzten Flüssigkeiten werden in der modernen Medizin weitgehend ignoriert. Dabei ist das der Schlüssel zu dem Verständnis der alten Heilmethoden, die über die Haut wirken – Schwitzen, Wadenwickel, Umschläge oder Fußbäder. Sie bewirken eine Ausscheidung der belastenden Stoffe. Der Körper wird dadurch entlastet, er hat sich auf diese Weise von schädlichen Stoffen befreit.
Moderne Ärzte verstehen die Krankheit als Feind, den man mit „Gegenmitteln“ bekämpfen muss – mit Antibiotika, Antipyretika, Betablockern. Ärzte früher sahen die Krankheit als Hinweis, dass man den kranken Menschen von schädlichen Stoffen befreien muss, damit er wieder gesund werden kann. Das ist eine fundamental andere Sichtweise.
Die alten Methoden haben also sehr wohl noch ihre Berechtigung. Wer naturheilkundlich lebt und sich bei leichteren Erkrankungen mit ihnen behandelt, der entlastet seinen Körper, er vermindert die „Müll- oder Giftstoffmenge“ und versucht, seine Krankheit als Hinweis auf Störungen zu sehen, die möglichst ohne chemische Fremdstoffe mit einfachen Mitteln behoben werden sollten.
Dr. med. Jürgen Freiherr von Rosen ist seit 1981 Chefarzt der Schlosspark-Klinik -Gersfeld, mittlerweile 81 Jahre alt, noch aktiv im Beruf und als Marathonläufer. Er gilt als Mentor der Naturheilkunde in Deutschland.
www.dr-von-rosen.de
Die Geschichte der Naturheilvereine und ihres Dachverbandes
Ab 1800: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehen Vereine, die über natürliche ‚volksverständliche‘ Heilweisen informierten. Angeregt werden sie durch den populären heilkundigen Landwirt Vinzenz Prießnitz (1799–1851).
1822 gründet Vinzenz Priessnitz in Gräfenberg, (damals Österreich-Schlesien, heute Láznê Jeseník in Tschechien) die erste Wasserheilanstalt der Welt. Sie existiert bis heute.
1863 erscheint die erste Ausgabe der Zeitschrift „Naturarzt“, die als naturheilkundliche Zeitschrift bis heute die Mitglieder des DNB begleitet.
1868 gründete sich der erste und heute älteste Naturheilverein Deutschlands: Der Naturheilverein Chemnitz. Er feierte letztes Jahr 150-jähriges Jubiläum.
1889 schlägt mit der Gründung des Deutschen Bunds der Vereine für Gesundheitspflege und arzneilose Heilweise die Geburtsstunde des heutigen DNB.
1893 werden bereits erste Laien-Naturheilpraktiker in alltagstauglichem und praktischem Basis-wissen ausgebildet.
1913 vereint der Dachverband etwa 900 Ortsvereine mit fast 150.000 Mitgliedern. Im eigenen Verlag erscheint das Mitgliederorgan „Naturarzt“, das auch heute noch als naturheilkundliche Zeitschrift seine Mitglieder begleitet.
Von 1927 bis zur Enteignung 1946 betreibt der Naturheilbund das erste Lehrkrankenhaus für Naturheilkunde, das Prießnitz-Krankenhaus in Berlin-Mahlow, das dem Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Charité angeschlossen ist.
1975 Verbands-Namensänderung von „Deutscher Bund für naturgemäße Lebens- und Heilweise“ in „Deutscher Naturheilbund eV (Priessnitz-Bund)“.
1999 wird Vinzenz Prießnitz aus Anlass seines 200. Geburtstags von der UNESCO im Kalender Immaterielles Kulturerbe für seine Verdienste um die Naturheilkunde gewürdigt.
2012 Wiederaufnahme der Tradition der Ausbildung von Laien-Naturheilpraktikern: „Naturheilkunde-Berater DNB“
2017 Umzug der Bundesgeschäftsstelle ins Schloss Bauschlott, -Neulingen bei Pforzheim. –
Aktuell sind dem DNB rund 50 -Naturheilvereine mit ca. 11.000 Mitgliedern angeschlossen.