Ohne Vereine geht es nicht

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Dass Naturheilkunde als Volksmedizin heute noch praktiziert wird, verdanken wir auch der Arbeit unserer Naturheilvereine. Eine Würdigung

Von Alois Sauer

Sich kundig machen, wie die Natur heilt, verlangt nach Beteiligung aller Sinne: Hören, sehen, schmecken, riechen, tasten und üben, darüber sprechen, hinterfragen und lernen. Das sind die Prozesse, die helfen, Krankheiten zu verstehen und zu heilen und die Gesundheit zu erhalten. In der Naturheilkunde geht es immer auch um gesundheitliche Selbsthilfe und Eigenkompetenz.

Die Naturheilbewegung entstand parallel mit Beginn der Industrialisierung und der gesundheitsbelastenden Stadtentwicklung ab 1850. Sie wurde vom damaligen Bildungsbürgertum getragen und organisiert; zuerst waren es die sogenannten hydropathischen Vereine, die den Heilfaktor Wasser in zahlreichen Varianten als Hausmittel demonstrierten.

Im Kontakt mit dem geistigen und praktischen Impulsgeber Vinzenz Prießnitz aus dem damals schlesischen Gräfenberg wurden Bewegung an Licht und Luft und eine gesunde einfache Kost als weitere Heilfaktoren propagiert und über Vereine vermittelt, begleitet von fachlicher Literatur im Buch- und Zeitschriftenformat. Parallel entstanden etwa mit der Turnbewegung und der Kleingartenkultur auch auf anderen Gebieten erfolgreiche Lebensreformbewegungen, die ohne das organisierte Vereinswesen nicht denkbar gewesen wären. Sie prägten die soziale und demokratische Gesinnung, ermöglichten Teilhabe an der Kultur für die benachteiligten Schichten und nahmen Einfluss auf die Politik.

Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Welle von Vereinsgründungen, die sich 1889 – vor 130 Jahren – zum Deutschen Bund der Vereine für Gesundheitspflege und arzneilose Heilweise zusammenschlossen. Dieser Verband hatte seinerzeit ähnlich Bedeutung und Einfluss wie heute die Umweltbewegung. Gemeinsam förderte man Einrichtungen der gesundheitlichen Selbsthilfe, darunter Familiengartenanlagen, Licht- und Luftbäder, Kur- und Badeeinrichtungen, Vereinsbüchereien; sogar eine Sparkasse zur Errichtung gemeinnütziger Anlagen, eine Sterbekasse und die Vermittlung von ‚Reformwaren‘ gesellten sich dazu.

Herausragend bleibt die Errichtung des ‚Prießnitz-Krankenhauses‘, ein Lehrkrankenhaus der Charité bei Berlin, das von Spenden der Vereine und Mitgliedern errichtet werden konnte. Der Verband bildete nach strengen Lehr- und Prüfungsregeln Naturheilpraktiker aus, damit die Vereine auf seriöse Referenten und Lehrer zurückgreifen konnten. Von damals etwa 900 Vereinen gab es in Hamburg sieben, in Leipzig neun und im Raum Berlin 20. Einige Vereine hatten mehr als 1000 Mitglieder!

Heute stehen wir in der mittlerweile fünften Generation vor neuen Herausforderungen: Die Zivilisationskrankheiten haben die Gesellschaft fest im Griff, jeder elfte Arbeitsplatz ist im Gesundheitswesen angesiedelt. Der tägliche Umsatz an Sach- und Dienstleistungen hat bereits eine Milliarde Euro überschritten. Krankheiten und Pflegebedarf haben zugenommen. Damit einher geht das Klagen über mangelnde Eigenverantwortung und Gesundheitskompetenz. Auch die hohe Ärzte- und Therapeutendichte konnten diese Entwicklung nicht stoppen.

Neue Herausforderungen

Rasant verändert hat sich die Art der Kommunikation und Informationsbeschaffung. Die Tendenz, sich bevorzugt digital auszutauschen und die virtuelle der persönlichen Begegnung vorzuziehen, wirkt sich auch auf die Vereins- und Verbandsarbeit aus. Hinzu drängt sich die Umweltproblematik und ihr Einfluss auf Gesundheit und Lebensräume. Letzteres verlangt gerade von der Naturheilmedizin engagierte Beteiligung und aktive Prävention.

Naturheilkunde ist im Gegensatz zur Schulmedizin nicht ausschließlich ein akademisches Lehrfach, sondern praktizierte und geübte Volksmedizin. Sich ihre Therapievielfalt zu erschließen, verlangt sich mit allen Sinnen damit zu befassen. Wer bietet diese Kompetenz vor Ort? Natürlich unsere Naturheilvereine!

Sie organisieren

  •  das Zusammentreffen mit Gleich-gesinnten,  
  • das Lernen von erfahrenen -Therapeuten,   
  • das Vermitteln von Basiswissen über geeignete Naturheilmittel,   
  • den unverzichtbaren Erfahrungsaustausch,   
  • das Kennenlernen und Vertrauens-aufbau zu qualifizierten Therapeuten,   
  • das Umsetzen geübter einfacher Anwendungen bei sich und in der Familie,   
  • die kontinuierliche Begleitung durch verständliche Fachliteratur

Ärzte und Therapeuten finden in den Vereinen das öffentliche Forum mit Vorträgen und Workshops sowie Mitglieder, die Veranstaltungen besuchen und ihren Verein bei seiner Arbeit unterstützen. In dieser lebendigen Gemeinschaft liegt die Perspektive und die Zukunft für unsere Vereine! Denn die Naturheilkunde steht für den menschlichen Anteil in der Medizin.

Alois Sauer ist Ehrenpräsident des DNB und Vorsitzender der Naturheilgesellschaft Stuttgart.